koalitionsvertrag regensburg 2020-2026
ALLES NEU MACHT DER KOALA-VERTRAG
Die Gestaltungsmehrheit aus CSU, SPD, Freien Wählern, FDP und CSB hat sich einen Koalitionsvertrag gegeben. 35 Seiten, in denen Kultur das Allerletzte ist (literally, auf Seite 34 von 35 beginnt der Abschnitt „Kultur“.) Was aber steht da noch drin, über die Ziele und Vereinbarungen der Koalition zu den Themen Smart City, Kunst und öffentlicher Raum? Wer alles lesen will, kann drüben bei regensburg-digital den kompletten Koala-Vertrag im Wortlaut lesen. Hier ein paar Ausschnitte:

Gleich auf Seite 3 stellt die zukünftige Rathaus-Koalition eine Grundlage auf: Dass der öffentliche Raum auch in öffentlicher Hand sein soll, ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, denn die Privatisierung ganzer Quartiere geht einher mit einem Schrumpfen des öffentlichen Raumes, in dem andere Regeln gelten – nämlich die von einem Unternehmen festgelegten. Investoren von Baugebieten sollen auch zukünftig zur Mitfinanzierung öffentlicher Strukturen wie Parks zur Kasse gebeten werden. Weitere Sätze aus dem Koalitionsvertrag stossen in ein ähnliches Horn, wie zum Beispiel der folgende:

Die Idee, das Bürgerfest oder andere große Feste außerhalb der Altstadt zu veranstalten, ist nicht neu. Hervorragend funktioniert hat das bisher nicht, was vermutlich daran lag, dass es zumindest für das Bürgerfest nie ernsthaft probiert wurde. Aber dafür soll es jetzt ehrenamtliche Stadtteil“kümmerer“ geben, vielleicht kann man mit denen zusammen neue Formen für sehr alteingesessene Kulturformate finden, siehe unten:

Die nächsten zwei Sätze sind auch erstmal nicht überraschend: Nachdem die Koalition sich auch dafür ausgesprochen hat, den Alten Kornmarkt, den Domplatz und den Emmeramsplatz autofrei machen zu wollen, sollen diese neugewonnenen Freiräume dann kreativ bespielt werden. Grade dem extrem toten Emmeramsplatz würde das guttun:



Hier wird’s spannend: Temporäre Kunst im öffentlichen Raum ist ein Schwerpunkt in der Kulturpolitik? Das ist neu. Weniger spätgotische Schnitzaltäre und tatsächlich mehr lebendige, sichtbare Kunst? Was vermutlich auch ein Stück weit Notlösung ist (denn für Künstler:innen leistbare Immobilien für dauerhafte Ausstellungs-, Arbeits-, Proben-, Performanceräume herzuzaubern ist sicherlich grad für ein Kulturamt nicht ohne Weiteres möglich und für eine Koalition nicht herwillbar), wird hier zur Programmatik erhoben. Die Umsetzung wird zeigen, ob dahinter auch die (finanzielle) Förderung der Kunst steht oder ob der Notnagel Notnagel bleibt. Die Zwischennutzung sehen Kulturakteur:innen seit Längerem kritisch: Wenn Zwischennutzung Dauernutzung ersetzt, wird Kunst zum netten Dekoobjekt degradiert, mit dem die Innenstädte nicht so schäbig aussehen, wenn sich die großen Einzelhandelsketten wieder die Ladenklinke in die Hand geben. Feste Orte wie Ateliers, Probenräume und Performance Spaces und dazu die Umwidmung anderweitig nicht genutzter Raumnischen für die Kunst ersetzen Zwischennutzungen jedenfalls als Wirkungsstätte von Künstler:innen nicht. Weil die neue Koalition auch plant, Gründerwerkstätten in Leerständen in der Altstadt unterzubringen, wird der Konkurrenzdruck für Künstler:innen noch größer, denn die Besitzer von leeren Läden waren schon bisher nicht überwiegend happy mit der Zwischennutzungsidee.
Und nein, das was die Koalition dann danach über das Stadtlagerhaus im Westhafen schreibt, hat damit nichts zu tun, denn:

Hier steht zwar „Ort für Kunst- und Kulturschaffende sowie die Kultur- und Kreativwirtschaft“, aber ich wage zu bezweifeln, dass das so harmonisch zusammengeht. Kunst und Kreativwirtschaft sind zwei völlig unterschiedliche paar Schuhe mit jeweils ganz anderen Bedürfnissen. Und da die Kreativwirtschaft viel besser zu dem passt, was anderweitig als Startup-Förderung, Gründerspaces und Co-Working Eingang in den Koala-Vertrag gefunden hat, wird das Stadtlagerhaus wohl eher ein Cluster für den kreativen Zweig der Wirtschaftsförderung. Soweit okay, aber man darf sich das nicht als Förderung der Kunst in Regensburg verkaufen lassen, das isses nämlich nicht, will es nicht sein und eine trennscharfe Definition und Unterscheidung hilft beiden Feldern, damit die brotlose Kunst auch zu ihrem Recht kommt.
Kommen wir zum Digitalen:


Okay, Infrastrukturausbau, vermutlich Bayern-WLAN (über die zivilgesellschaftliche Community-Alternative Freifunk gibt es demnächst einen Extra-Artikel) und WLAN in Bussen sind alles keine neuen Forderungen. Überraschend ist das Glasfasernetz als öffentliche Infrastruktur, wobei da vermutlich die Tochtergesellschaft R-KOM gemeint ist, die sich mit dem Glasfaserausbau im Angesicht der privatunternehmerischen Konkurrenz ein bisschen schwertut. Würde die R-KOM noch mit nichtkommerziellen Nachbarschaftsinitiativen zusammenspielen, anstatt diese als Konkurrenz zu sehen, wär das nice.

Was genau mit den einzelnen Bereichen in Bezug auf konkrete Maßnahmen in Regensburg gemeint ist, wird an dieser Stelle nicht weiter erklärt. Der „Smart City Leitfaden“, den der alte Stadtrat noch in seiner allerletzten Sitzung beschlossen hat, sieht bei Mobility eine App vor, die verschiedene Mobilitätsarten miteinander verknüpft, die Erprobung autonomen ÖPNVs und natürlich die Verbesserung des motorisierten Individualverkehrs mit intelligenter Ampelschaltung zu Ungunsten des Rad- und Fußverkehrs. Smart Infrastructure wird an anderer Stelle schon beschrieben und soll beispielsweise Füllstands-Sensorik bei Mülleimern beinhalten, damit diese bedarfsberechter geleert werden können. Smart Environment kann irgendwie alles sein und der Begriff wird eigentlich vor allem in Bezug auf das Smart Home genutzt. Schauen wir mal. Smart Governance als Schwerpunkt wäre noch schön gewesen, aber das kommt unten nochmal kurz.

Ja. Prima. Nehm ich. Datensparsamkeit bedeutet, dass nur die Daten erhoben werden, die notwendig sind für bestimmte Betriebsabläufe. Datensicherheit bedeutet, dass nicht leichtfertig mit der Übertragung und Aufbewahrung der Daten umgegangen wird, während Datensouveränität den Datenerzeuger:innen größtmögliche Kontrolle über ihre eigenen Daten gibt. Damit einher geht auch Transparenz der Datenerhebung und vereinfachte Einsicht.


Hier nun Smart Governance, beziehungsweise ein allererster großer Zeh in das kalte Wasser der offenen und transparenten Verwaltung. Es fehlt noch ganz ganz viel – zum Beispiel ein vollumfängliches Bekenntnis zu Open Data (diese werden im Koala-Vertrag als „Online Informationsbereiche“ bezeichnet, was immer das bedeuten soll). Toll wäre noch gewesen, wenn sie sich ein Bekenntnis aus den Rippen geleiert hätten, dass man städtische Unterlagen nicht erst mühsam mit der Informationsfreiheitssatzung freikratzen muss, sondern dass umgekehrt Transparenz und Offenheit in Bezug auf die Verwaltung der neue Status Quo ist. Man darf ja noch träumen. Dafür aber soll ein Kernbereich der Stadtentwicklung – Beteiligung der Bürger:innen – vermehrt Online entwickelt werden. Gut für den Barriereabbau, wenn es nicht dazu genutzt wird, kritische Stimmen in irgendwelche Beteiligungsprozesse abzuschieben und sie dadurch ungehört zu machen.

Alles in Allem liest sich der Vertrag weniger schlimm als befürchtet. Wie bei vielem, muss man auch hier sehen, wie die Koalition den Gedanken des Vertrages leben wird, und wie – auch aus finanziellen Gesichtspunkten – die Umsetzung läuft. Wer noch mal den gesamten Vertrag in Ruhe lesen will (da stehen auch noch viele andere Sachen aus anderen Bereichen drin, die euch unmittelbar betreffen!), dem sei der Wortlaut des Vertrages auf regensburg-digital.de empfohlen.
[Beitragsbild: David Liese]